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2008

Martin Walser

Raum und Räume erzählen

Die Architekturfilme von Christoph Schaub

Selbstverständlich ist nichts bei der Umsetzung von Architektur, von Raum in Film. Christoph Schaub, der sich im dokumentari­schen Teil seines Œuvres seit fast 20 Jahren zum Spezialisten da­ für entwickelt hat, weiss längst: «Man muss immer einen Umweg machen, eine Interpretation finden, um zu verstehen, was Archi­tektur räumlich meint. Denn ich habe gelernt, dass man Orientie­rung im Raum gar nicht erzählen kann, sondern eine Fiktion her­stellen muss. Auch meinen Spielfilmen ist das zugutegekommen.»

Das Lehrstück ist 1995 Il Girasole – una casa vicino a Verona, das Porträt einer futuristischen Villa am Nordrand der Po­Ebene, die sich wie eine Sonnenblume in acht Stunden einmal um ihre Achse dreht. Schaubs Freund und damaliger Wohnpartner, der Archi­tekt Marcel Meili, machte ihn auf das Gebäude aufmerksam. Die Fiktion, von welcher der Filmer spricht, ist gebunden an den Menschen, an dem die Architektur immer Mass nimmt (auch da, wo sie totalitär auftritt und ihn als Individuum negiert). Im Film Il Girasole stellen Schaub und Meili in einer Art De-­Chirico­-Effekt Figuranten eines Paars in die Villa und kreieren so über ein rudi­mentär szenisches Setting, das 24 Stunden umfassen soll, einen Eindruck von bewohnter Dreidimensionalität und Tiefe.

Wenn Il Girasole ein Narrativ andeutet, ist keine Art Erzählung in Spielfilmmanier gemeint. Schaubs Architekturfilme zeichnet ein betont statischer Umgang mit der Kamera aus. Kaum wird diese bei ihm zum Koprotagonisten, der den Raum erkundet, abtas­tet, abschreitet. Denn da würde «ihr Einsatz von uns psycholo­gisch­emotional wahrgenommen», meint Schaub. Und es käme die Frage auf: «Als Vertreterin von wem? Dem neugierigen Ka­meramann? Dem Architekten? Einem Besucher vor Ort? Dem Regisseur? Uns Zuschauern?» Dagegen evoziert der Filmer die Architektur gerne durch Standbild­-Cluster aus verschiedenen Blickwinkeln und lädt sie emotional durch Klänge auf. Auch wird als «erzählerisches» Moment das Spiel von unterschiedlichem Licht, von Tages­ und Jahreszeiten genutzt, welches das verbaute Material immer wieder anders zur Geltung bringt.

Nur im Film über Brasiliens kühn aus dem Boden gestampfte Kapi­tale (Brasilia – eine Utopie der Moderne, 2007) gewinnt Oscar Niemeyers flügelleicht konzipierter Stadtorganismus in langen Travellings aus dem Autofenster dynamische Gestalt. Das er­ scheint sinnvoll: Brasilia war als Autostadt konzipiert. In Calatravas Bahnhöfen und Flughäfen (Die Reisen des Santiago Calatrava, 2000) oder auch unter den offen ins Stadtbild auskragenden Perrondächern des Zürcher Hauptbahnhofs (Der Wechsel der Bedeutungen – Meili, Peter, 2002) scheinen es die Passanten­ ströme und die Züge zu sein, welche die Bauten mit in Bewegung und Unruhe versetzen.

Der Calatrava­-Film ist Schaubs erster langer Kinodokumentarfilm zum Thema Architektur. Die Visionen des viel gefragten spani­schen Stararchitekten gelten der in Stahl und Beton gleichsam eingefrorenen Bewegung von Natur und von natürlichen Struk­turen wie etwa Baum­ und Pflanzenwerk. Im Interview veranschaulicht der Film diesen Prozess von der Idee im Kopf über die Zeichnung auf dem Papier bis zur realisierten skulpturalen Struk­tur. Deren Binnenkräfte sind da nicht mehr sicht­-, aber sehr wohl spürbar, und der Film zeigt, wie sie insgeheim mit der Bewegung der Menschen darin korrespondieren.

In die Schranken gewiesen und gleichzeitig als Schutzbedürftiger ins Zentrum gestellt ist der Mensch in der harschen Natur des alpinen Raums. Dem hat die Architektur genauso wie ihre Dar­stellung Rechnung zu tragen. Es ist nach Il Girasole, Mitte der 1990er­ Jahre, ein Telefonanruf aus dem Churer Fernsehstudio, in dem der damalige TVR­Direktor Peter Eglo den Regisseur Schaub zu einem Porträt der Bündner Architekten Peter Zumthor und Gion Antoni Caminada einlädt (Lieu, funcziun e furma – l’architectura da Gion A. Caminada e Peter Zumthor, 1997). Ein ganzes Korpus von Architekturfilmen aus Graubünden wird da­mit initiiert, in dem Christoph Schaub eine gewichtige Rolle spielt und das auf nationaler SRG­Ebene in die Filmedition Architec-Tour de Suisse kopiert und ausgeweitet wird.

Dabei wird offensichtlich, als wie hochsensibel sich das Bauen im Alpenraum zwischen Tradition und Moderne erweist: in den Ortsbildern, bei öffentlichen und privaten Gebäuden, aber auch bei rein funktionalen Bauten wie Staumauern, Brücken oder gar schlichten Stützmauern für Strasse und Bahn. Und die Frage lau­tet: Wie heilig soll und darf die Tradition hier sein? Schaubs Filme offenbaren, wie gründlich sich die Ingenieure – Jürg Conzett in Die Kunst der Begründung (2002) – und Architekten wie Zumthor und Caminada damit auseinandersetzen und wie sie einer lebendigen Funktionalität bei wachem Geschichtsbewusstsein ver­pflichtet sind.

Derlei entfällt natürlich bei den die Geschichte rabiat zerstörenden und für spätere Generationen Natürlichkeit künstlich neu gene­rierenden Konstruktionen wie Staumauern. Der für die TVR (heute RTR) produzierte Film Cotgla alva (1997) oszilliert nachdenklich zwischen den Aspekten von unbedenklicher technischer Machbarkeit respektive Verfügbarkeit (spielerisch inszeniert auch für Menschen, Del ne und Skateboarder ...) einerseits und Ewig­keitswahn anderseits. Es sind bezeichnenderweise die Mauer­-wärter und -­kontrolleure, die von dessen Nichtigkeit scheu eine Ahnung zu haben scheinen ...

Solche Fragen greifen über reine Architekturdarstellung hinaus, und Schaub hat mit Il project Vrin (1999) in einem 50­minütigen Film länger ausbreiten können, wie in der von topografischen und saisonalen Kontrasten diktierten Lebenswelt eines alpinen Dorfes von kaum 300 Seelen zuhinterst im Val Lumnezia Soziales, Ökonomie und Ästhetik in der Architektur zusammenspielen. Mit Gion A. Caminada als hier ansässigem und verwurzeltem Spiritus Rector wurde Vrin zu so etwas wie einem Modelldorf, in welchem der Tradition weder mit Allerweltsmoderne noch mit solitärem Architektenehrgeiz begegnet werden sollte – ein dank­ bares Terrain für den Filmemacher mit seinem Reportage­-Tem­perament.

Diese Erfahrung war für Schaub bei seinem bisher anspruchsvolls­ten Film von Vorteil, den er mit Michael Schindhelm als Koautor zusammen produzierte: Bird’s Nest – Herzog & de Meuron in China (2008) fesselt als Baudokumentation des Olympiastadions in Peking, als angewandte Architekturtheorie und -­praxis und, spannend bis zum Thrill, auch als Lehrstück vom interkulturellen Dialog im abenteuerlichen Business mit dem sich rasend moder­nisierenden China. Wie sich die beiden Architekten mit ihren Vermittlern aus der Schweiz (Uli Sigg) und China (Ai Weiwei) in Beijing behaupten konnten – und im Projekt in einer Stadt bei Jinhua südlich von Schanghai leider nicht –, dies hat als Doku­mentation zeitgeschichtlichen Wert.

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